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Smarte Lieferzonen als dynamisches System-of-Systems

Autoren: Patrick Mennig, Thomas Jeswein.
Kategorie:
Smart Mobility.

In der uns umgebenden Welt finden sich viele »Systeme«. Manche dieser Systeme bilden sogenannte Systeme aus Systemen (engl.: Systems-of-Systems), indem sich Systeme zusammenschließen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Auf der Suche nach Forschungsfragen und -herausforderungen im Bereich Systems-of-Systems betrachten wir verschiedene Anwendungsbereiche, darunter auch »Smart Mobility«.

Der Anwendungsbereich »smarter« Mobilität ist sehr komplex. Die Zuweisung der Eigenschaft »smart« bedeutet oft nur eine vage Abgrenzung zum Status Quo und ist häufig eher Ausdruck des Wunsches »es in Zukunft besser zu machen«. Deshalb müssen wir im Anwendungsbereich Mobilität vor allem die heutigen Herausforderungen beachten – beispielsweise die Dekarbonisierung des Verkehrssektors, die Senkung der hohen Kosten von Mobilität in einer Gesellschaft, die auf Mobilität angewiesen ist, oder auch die Chancen durch Technologien wie Autonomes Fahren. Aus diesem Spektrum unterschiedlichster Herausforderungen haben wir nach mehreren Gesprächsrunden mit Domänenexpert*innen einen kleinen Teilaspekt gewählt – Lieferverkehr in Städten – anhand dessen wir einen beispielhaften Anwendungsfall für System-of-Systems im Bereich »Smart Mobility« darlegen möchten. Auch wenn dieser Anwendungsfall auf den ersten Blick »nicht das ganz große Rad dreht«, beinhaltet er dennoch viele Anknüpfungspunkte zu wesentlichen Herausforderungen im Bereich Mobilität und lässt sich leicht in viele Richtungen erweitern.

Dynamische Lieferverkehrszonen zur Optimierung der innerstädtischen Waren- und Lieferverkehre

Sehr hohes Verkehrsaufkommen in Städten erzeugt Schadstoffbelastung und senkt die Lebensqualität. Auch Lieferverkehre tragen wesentlich dazu bei. Durch die orts- und zeitpräzise Lenkung von Fahrzeugen, wie etwa Lieferfahrzeuge von KEP-Dienstleistern (Kurier-, Express- und Paketdienste) für Brief- und Paketzustellungen, die innerhalb genau berechneter Zeitfenster in einer smarten Ladezone ihr Fahrzeug be- und entladen, minimieren sich Verkehrsbelastungen. Die Stellflächen sind dabei nicht fest bestimmt, sondern werden je nach Verkehrslage dynamisch ausgewiesen. Die dynamischen Lieferverkehrszonen integrieren sich somit in »Curbside Management«-Ansätzen und bieten Möglichkeiten für innovative Erweiterungen. Die Vernetzung solch eines Systems mit neuartigen Angeboten, wie beispielsweise bodengebundenen Lieferdrohnen, ist denkbar. Dabei wird die letzte Meile der Lieferkette, wie wir diese heute bereits kennen, nicht mehr mit herkömmlichen Fahrzeugen, sondern mit kleinen, angepassten Gefäßen überbrückt. Ebenso ist die Auslieferung an private oder geteilte Gefäße (z. B. Kofferraum von PKW oder autonome Shuttles) denkbar, um so die Wegeketten zu kombinieren. Des Weiteren können Lieferverkehre durch Bündelung minimiert werden, wenn Logistikunternehmen miteinander kooperieren.

KEP-Dienstleister haben aus ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit heraus einen starken Antrieb hin zur Digitalisierung, allerdings sehen wir heute noch keine tiefe Integration ihrer Systeme in umgebende Smart-City-Systeme oder andere Angebote , z. B. Kooperationen mit Sharing-Anbietern für Lieferungen an den Kofferraum, die über Prototypen und Forschungsprojekte hinausgehen. Ladengeschäfte, welche regelmäßig beliefert werden, z. B. Supermärkte oder Bekleidungsgeschäfte, bündeln ihre Lieferungen oft nicht, obwohl sie in der Stadt räumlich direkt nebeneinander liegen. 

Eine Betrachtung dieser Situation aus einer Perspektive der Systems-of-Systems, insbesondere unter dem Aspekt der dynamischen Kopplung, ist unseres Erachtens daher wünschenswert. Städte sind lebendige Organismen und Kontexte ändern sich ständig. Dieser Änderungsdruck wird auch als zeitliche-, räumliche- und Intensitätsvolatilität bezeichnet. Die (technischen) Systeme der beteiligten Akteure müssen sich deshalb zur Laufzeit an neue Kontexte anpassen können und gemeinsam auf ein globales Optimum (hinsichtlich Nachhaltigkeit oder Effizienz) hinarbeiten. Dynamische Lieferverkehre als ein System-of-Systems sollten es ermöglichen, Menschen und ihre Bedürfnisse sowie (teil-) autonome Systeme gleichzeitig zu betrachten.

Das System-of-Systems »DynaZone« 

Den von uns entwickelten Anwendungsfall für System-of-Systems im Bereich »Smart Mobility« haben wir den Namen »DynaZone« gegeben. Darin möchten wir beispielhaft zeigen, wie eine orts- und zeitpräzise Reservierung und Nutzung von intelligenten Ladezonen (synonym zu »Smart Parking Spaces«) durch bestimmte Verkehrsteilnehmende ermöglicht werden kann. Wir sind der Überzeugung, dadurch Verkehrsbelastungen zu reduzieren und den Lebensraum Stadt angenehmer zu gestalten – für Bürger*innen und Verkehrsteilnehmer*innen. »DynaZone« integriert sich in Smart Cities und greift vorhandene Methoden der Parkraumbewirtschaftung auf. Städte selbst sind also ein wichtiger Stakeholder, genauso wie die möglichen Nutzer*innen der Smart Parking Spaces: KEP-Dienstleister (z. B. DHL, Deutsche Post, UPS, Hermes, DPD, usw.), Handwerker*innen im Einsatz, Carsharing-Anbieter, Pflegedienste, Taxifahrer*innen, Schwerbehinderte zum Ein- und Aussteigen, Krankenfahrer*innen bis hin zu Bürger*innen, z. B. für private Umzüge. 

Die Smart Parking Spaces sind mit Sensoren ausgestattet, die eine Belegung registrieren können, sowie mit digitalen Anzeigen, damit alle Verkehrsteilnehmer*innen jederzeit den aktuellen Reservierungsstatus einsehen können. Nutzer*innen bzw. deren Organisationen können bei ihrer Smart City sog. Prioritätstokens erhalten, die regeln, in welchen Zeiträumen Reservierungen vorgenommen werden dürfen und welche Reservierungsanfragen höher gewichtet werden. Mit diesem Prioritätstoken können einzelne Fahrzeuge (z. B. über eine Anwendung auf Smartphones) oder die sie verwaltenden Softwaresysteme Zeiträume bei einzelnen Smart Parking Spaces reservieren. Die tatsächliche Nutzung der Reservierung wird über die Sensoren der Smart Parking Spaces und Sender am Fahrzeug oder die Smartphone Applikation festgestellt und kann exakt abgerechnet werden. Für Smart Cities ergibt sich so eine neuartige Form der Parkraumbewirtschaftung mit einem Geschäftsmodell, dass eine Preisbildung über Marktmechanismen (z. B. nach Intensität der Nachfrage zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort) ermöglicht. Nutzer*innen von »DynaZone« können durch ihr Verhalten am so entstehenden Markt für Parkraum ihre Kosten optimieren. 

Die folgende Abbildung 1 zeigt überblicksartig, welche Funktionalität das System »DynaZone« bietet, z.B. die Reservierung von intelligenten Ladezonen, die Belegung und Freigabe dieser Zonen, die Gebührenerhebung für die Nutzung des Angebots. Des Weiteren wird dargestellt, welche Nutzergruppen in Frage kommen.

Abbildung 1: Funktionen des System-of-Systems (SoS) DynaZone. 

Wie läuft die Nutzung von »DynaZone« ab

Wir betrachten DynaZone nun beispielhaft aus der Perspektive von KEP-Dienstleistern (Kurier-, Express- und Paketdienste). Die vorhandenen Softwaresysteme der KEP-Dienstleister bestimmen schon heute exakt, welche Lieferungen wann in welchem Zielgebiet ausgeliefert werden müssen. Auf Basis dieser Informationen fragen die Systeme der KEP-Dienstleister die Verfügbarkeiten der Smart-Parking-Spaces minutengenau an und reservieren sie für die Auslieferung (s. Abbildung 2). Dabei können die KEP-Dienstleister die Routen der Lieferfahrzeuge iterativ planen und tagesfein nach Bedarf gestalten. In dicht besiedelten Innenstädten können Lieferungen an einem Ort gebündelt vom Lieferfahrzeug aus geschehen und in Zukunft zu kleinen Lieferhubs ausgebaut werden, die beispielsweise bodengebundene Lieferdrohnen mit einbeziehen, um Lieferfahrer*innen zu unterstützen. 

Wird eine intelligente Lieferzone genutzt, erfasst die dort verbaute Sensorik das parkende Fahrzeug (z. B. über Sender, die am Fahrzeug angebracht sind) und übermittelt seine Kennung. Nach dem Verlassen der Lieferzone wird eine minutengenaue Gebühr für die Belegungsdauer berechnet, sodass ein Anreiz zur effizienten Nutzung des Parkraums entsteht und innovative Lieferkonzepte gefördert werden (s. Abbildung 2). 

Ist es nicht möglich, eine Reservierung einzuhalten – beispielsweise, weil durch Staus, Unfälle oder andere Ereignisse eine Lieferzone nicht rechtzeitig erreicht werden kann – können die Systeme der KEP-Dienstleister eine Reservierung löschen und andere Smart-Parking-Spaces dynamisch neu reservieren und anfahren. Auch Fehlbelegungen durch andere Verkehrsteilnehmer*innen können durch die Smart-Parking-Spaces gemeldet werden, da sie erkennen, ob das dort stehende Fahrzeug tatsächlich das ist, welches den Platz reserviert hat. Mitarbeiter*innen des Ordnungsamts bzw. Abschleppdienste könnten so automatisiert benachrichtig werden, um möglichst unverzüglich einzuschreiten. So werden Bewohner*innen der Stadt schnell zu systemdienlichen Verhalten erzogen, damit die vorgesehene dynamische Funktionsleistung tatsächlich erreicht wird. 

Der Paragraf 35 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) regelt die Sonderrechte von Bundeswehr, Bundespolizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Polizei und Zolldienst im Straßenverkehr und bei der Straßenbenutzung, wenn es um die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben geht. Diese Sonderrechte werden selbstverständlich auch bei der Nutzung der intelligenten Ladezonen berücksichtigt. Das bedeutet, dass die zuvor genannten Systemteilnehmer immer Vorrang haben. Reservierungen anderer Teilnehmer werden, basierend auf den Erfordernissen des Einsatzes, gelöscht. So wird sichergestellt, dass Flächen für den Einsatz zur Verfügung stehen und andere Systemteilnehmer dementsprechend ihre Routen dynamisch umplanen können.

Abbildung 2: Beispielhafter Ablauf der Nutzung von Smart Parking Spaces aus der Perspektive von KEP-Dienstleistern. 

Herausforderungen für das Engineering von Systemen aus Systemen

Das System »DynaZone« als beispielhafter Anwendungsfall aus dem Bereich »Smart Mobility« zeigt, wie eine Betrachtung aus der Perspektive »Systeme aus Systemen« neuartige und innovative Lösungen für lebenswerte Städte und effiziente Mobilitätskonzepte liefern kann. Gleichzeitig wirft dieser Anwendungsfall auch viele Fragen für das Software Engineering auf, die zukünftig betrachtet werden müssen. 

Wie sieht die Fähigkeitsmodellierung der Smart-Parking-Spaces aus und wie kann diese dynamisch erweitert werden? Wie beschreibt der Smart-Parking-Space seine eigene Fläche und seine Eigenschaften sowie Fähigkeiten? Naheliegend wäre beispielsweise die Frage, wie Lademöglichkeiten für E-Autos in Smart Parking Spaces, aber auch die Verfügbarkeit anderer Fähigkeiten integriert werden können.

Auch die Ausgestaltung des Systems aus Systemen selbst wirft Fragen auf. Welche Laufzeitplattform wählt man für die Umsetzung und wie zentral oder dezentral funktioniert die Kommunikation? Gibt es Schnittstellen, die viele solcher Smart Parking Spaces zusammenfassen, um so eine vollständige Route reservieren zu können oder wird es als ein eigenes System verwirklicht und erfolgt die Kommunikation mit jedem einzelnen Smart Parking Space? Bei wem liegt die Zuständigkeit für die Überwachung und Optimierung des Systems? Wie kann die Funktion der Smart Parking Spaces bei Systemausfall oder Kommunikationsstörungen aufrechterhalten bleiben, z.B. über Redundanz?

Betrachtet man die Qualitätseigenschaften des Gesamtsystems, ergeben sich ebenso spannende Fragestellungen. Eigenschaften wie Safety und Security sind offensichtlich durch den potenziellen Einfluss auf den Verkehrsfluss und auf Systeme wie Rettungsdienste oder Feuerwehren sehr wichtig. Darüber hinaus kann man fragen, welche Optimierungsrichtungen das System-of-Systems beachten und optimieren sollte. Es gilt, eine Balance zwischen verschiedenen Zielgrößen (z. B. Auslastung & Verfügbarkeit versus Stadtbild mit wenig parkenden Autos versus geringe Kosten versus hohe Einnahmen) zu erreichen und darauf zu achten, dass keine Schwingungen entstehen. 

Ausblick

Der Anwendungsfall DynaZone zeigt, dass System-of-Systems das Potenzial haben, existierende Systeme so zu verbinden, dass die Lebensqualität in Städten verbessert wird, weil der Verkehrsfluss insgesamt effizienter gestaltet werden kann und dadurch die Belastung auf die Stadt (Schadstoffe, psychischer Druck) reduziert wird. Zudem können Smart Cities neue Geschäftsmodelle der Parkraumbewirtschaftung verfolgen. Damit verbunden sind Herausforderungen des Software- und Systems-Engineering, die durch Forschung und Ausprobieren gelöst werden müssen. Ursprünglich nur beispielhaft ausgewählt, bietet der Anwendungsfall DynaZone die Gelegenheit, System-of-Systems im Bereich Mobilität zu etablieren, da mit »Smart City«, »Autonomes Fahren«, »Autonome Kleinstfahrzeuge« uvm. eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten an andere Forschungsthemen existiert.

Bildnachweise: 

Titelbild: © iStock.com/1933bkk